Helden wie wir
Der im letzten Jahr erschienene Roman Helden wie wir" des 1965 in Ostberlin geborenen Thomas Brussig sei schon bald als - kommerziell inzwischen recht erfolgreiches - "Kultbuch" gehandelt worden, hebt Ursula Escherig hervor (Tagesspiegel , 31.8. ) Es geht in dem in Ich-Form erzählten Text um das traurig-komische Schicksal des am 20. August 1968 geborenen Klaus Uhlztscht, eines ungeliebten Kindes mit wenig Selbstwertgefühl inmitten einer trostlosen deutsch- demokratisch-grauen Umgebung.
Erst mit Hilfe der Stasi verwandelt sich Uhlztscht, und am Ende ist es ihm zu verdanken, daß die Mauer geöffnet wird. "Aus der Sicht eines unschuldigen Toren eröffnet sich eine totalitäre Gesellschaft", beschreibt Norbert Mayer das Thema des Romans ("Die Presse", 23.9. ). Die DDR werde in dieser jünglingsscherzhaften Leidensgeschichte, deren etwas abgedroschen wirkende Männerphantasien man nicht mögen müsse, als triste Herrschaft des Matriarchats in Sport, Freizeit und Kultur geschildert, merkt Erich Demmer an (ebd. 20.1.). Der "Haß auf alle Mamas, von Mama Uhlztscht bis zu Christa Wolf, der DDR-Übermutter", sei Grundtenor des "peinlichsten Romandebüts dieses Herbstes", meint Sigrid Löffler ("Süddeutsche Zeitung Magazin", 13.10.) Das ostdeutsche Kleinbürgermilieu präge diese "Tragikomödie der Adoleszenz", welche als Geschichte der sexuellen und sozialen Verwirrung erzählt werde und ein "Schelmenroman" sei, bemerkt Michael Berger ("Die Woche", 6.10.). "Simplicissimus" ist auch das Stichwort von Konrad Franke, der Brussigs Buch "keineswegs nur zum Lachen" findet ("Süddeutsche Zeitung", 11.10.). "Es ist riskant, aus fünf Jahren Abstand mit leichtem, aber nicht blödem Sinn eine traditionsreiche literarische Figur in unsere Gegend zu stellen.
Dieses luftige, mutige Buch lebt von einem wilden Erfindungsgeist und von dessen Disziplinierung, es lebt von der Erdung durch genau gewußte Details der DDR-Normalität". Ähnlich äußert sich Detlef Gwosc ("Deutsche Bücher" 3/1995): "Das Leben des Klaus Uhlztscht, die Biographie eines in der DDR aufgewachsenen Jugendlichen, ist mit soviel Ironie erzählt, daß man in der Literaturgeschichte lange nach vergleichbaren Texten suchen muß. Eine gewisse Nähe zum pikaresken Roman ist erkennbar". Man könne Brussig bescheinigen, "konzeptionell insgesamt zu überzeugen". Das erzählerische Vermögen des Autors sei beeindruckend, ohne daß sein Roman von Schwächen und Brüchen frei sei; teilweise scheine er etwas zu verliebt zu sein in seine Sätze und Wendungen.Die Rahmenhandlung der Geschichte bilde ein Interview mit Mister Kitzelstein von der "New York Times", der dem Gerücht nachgeht, Uhlztscht sei derjenige gewesen, der die Maueröffnung erzwungen habe, erläutert Sabine Brandt ("Frankfurter Allgemeine", 10.10.).
Der Romanheld bestätige das, müsse aber weit ausholen und dabei eine Geschichte erzählen, die soviel und sowenig unanständig sei wie das Leben selbst - an Drastischem werde in diesem Buch gewiß nicht gespart. "Der Roman fängt in einem Narrenspiegel ein, wie aus der Vergangenheit der Deutschen Demokratischen Republik die Gegenwart der deutschen Einheit wurde". Doch die fiktive Uhlztscht-Biographie sei nicht bloß närrisch: "Soweit sie es aber ist, lebt sie nirgends von plattem Witz, sondern immer von der intelligenten Unverschämtheit und dem treffsicheren Spott der Shakespearschen Narren". Von einer "Realsatire aber zwanzig Jahre DDR-Geschichte" spricht Thomas Kraft ("Freitag, 13.10.) "Erstens ist Thomas Brussigs Debütroman ein Stück Rollenprosa, und zweitens funkelt es hier nur so vor Witz und Ironie, so daß der Monolog des Erzählers, im übrigen eine köstliche Mischung aus Tirade und Beichte, sich selbst unterläuft und persifliert". Helmut Böttiger bezeichnet "Helden wie wir" als "Entwicklungsroman, der die DDR und die Menschwerdung in derselben so pointiert erfaßt wie kaum ein anderer", und der "das Kleinkarierte, Lustfeindliche, Untertanenhafte der DDR" detailliert und manisch schildere, so daß man diesen Staat in vielem als Karikatur von "Befreiung" erlebe ("Frankfurter Rundschau", 28.10.).
Sprachlich sei diese Rollenprosa doch etwas eintönig und stellenweise bemüht - die Varianten der Brussig-Uhlztschtschen Umgangssprache beschränkten sich auf ein Minimum, was die Stärke und zugleich die Schwäche dieses Buches ausmache. "Es ist werniger als literarisches Kunstwerk interessant, aber es ist ein wichtiger Indikator dafür was in der Luft liegt". Vor allem zeige das Buch, wie dringend heute noch die DDR beziehungsweise Ostdeutschland ihr 1968 nötig habe. "Dieser Roman leistet etwas Ähnliches wie die Beat- und Underground -Literatur der sechziger Jahre in der BRD, samt der dazugehörenden Sigmund-Freud-Lektüre". Seinen energetischen Charakter verdanke Brussigs Roman "dem Zuviel, dem Zu-dick-Aufgetragenen, der Unverschämtheit und der wütenden, durch schneidenden Witz gebändigten Verve seines Verfassers", hebt Marion Löhndorf hervor ("Neue Zürcher Zeitung , 10.10.)
Klaus Uhlztscht werde als "Versager mit Größenwahn" gezeichnet, und wirkliche Abgründe täten sich auf, als der Jugendliche sein Geschlechtsleben zu entdecken beginnt. Der "Mythos Stasi" werde entdämonisiert, allerdings auch etwas zu sehr verniedlicht. Die Sicht des klassischen Underdog bestimme den Blickwinkel. "Aus der Froschperspektive des Zukurzgekommenen entwirft der Autor ein satirisches Bild der DDR-Gesellschaft". Ungenierter als Thomas Brussig habe wohl noch kein Autor seinen kindlichen Omnipotenz-Träumen freien Lauf gelassen, und das sei oft nichts als albern, bemerkt Renée Zucker ("Tagesspiegel, 19.11.). Allerdings gebe es zwischen all dem prahlerischen Getöse "auch leise und anrührende Klänge, die unter der pubertären Wut ein tieftrauriges Kind hervorlugen lassen".
Der Roman sei so traurig wie komisch, ein "köstlicher Zerrspiegel" einer Jugend in der späten DDR, schreibt Christoph Dieckmann ("Die Zeit", 8.9.). "Brussigs Gedächtnis für die Trivialitäten der DDR entlarvt die teure Tote besser als jeglicher Vergangenheits-Generalismus". Dieckmann spricht von einem lesenswerten "Buch einer system-kompatiblen Spätlingsgeneration, die vor dem Fall der Mauer blaß blieb und sich auch danach kaum um die Deutung des Gewesenen bewarb. An der 'Utopie' hatte sie sowenig Anteil wie an deren Aberbild, der kollektiven Resignation. Wie diese Unberatenen die DDR durchwurstelten, fabuliert John-Irving-Fan Brussig in glücklicher Mischung von Aberwitz und szenischem Realismus".
Günter Grass nennt "Helden wie wir" ein sehr empfehlenswertes Buch, und auch Wolf Biermann empfiehlt den "ersten geistreichen Schelmenroman über einen stinknormalen unbekannten Kämpfer an der unsichtbaren Front", der ein einziges "herzerfrischendes Gelächter" darstelle, Christa Wolf lächerlich mache und die Stasi stark verharmlose ("Der Spiegel", 29.1.). Peter Walther gelangt zu folgendem Resümee ("tageszeitung'', 9.9.): "Wenn es darum geht, sich ein Bild von jenen Vorgängen in der DDR zu machen, die in unfreiwilliger Komik ‚friedliche Revolution' genannt werden, wird man diesem Roman mehr Glauben schenken können als allen Tatsachenberichten".
o.A.: Thomas Brussig: Helden wie wir, in: Fachdienst Germanistik. Sprache und Literatur in der Kritik deutschsprachiger Zeitungen, 3 (1996).
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